„Hier hat man auch mal Feierabend“: Wie digital ist das (Wend)land? (Teil 1)

Die Digitalisierung ist in der Stadt ein großes Thema. Aber wie sieht es auf dem Land aus? Zwischen Bauern und Feldern, Heuboden und Sternenhimmel. Unsere Kollegin Nicole Dau lebt inzwischen auf dem Lande und hat sich mit den Menschen dort darüber unterhalten. Den Anfang macht Madeline Jost (31), Fotografin und freie Autorin im Wendland.

Madeline Jost lebte lange in Hamburg bevor ein sechsmonatiger Trip nach Island ihr und ihrem Freund Jan gezeigt hat, wie schön sie ein ruhigeres Leben abseits der Stadt finden. Im Wendland arbeitet Madeline im Gegensatz zur Stadt viel stärker branchenübergreifend und bietet ein umfassenderes Gesamtpaket an. Momentan betreut sie beispielsweise auch viele Marketingaktivitäten für regionale Vereine und Firmen.

Digitalisierung bedeutet auch ein neues Leben

 

Madeline Jost

Was bedeutet für Dich „Digitalisierung“?

In meinem beruflichen Kontext bin ich heute stark auf das Internet angewiesen. Ohne kann ich nicht arbeiten. Digitalisierung heißt für mich auch Freiheit, da ich mich global über alle Dinge informieren kann, die mich interessieren. Digitalisierung heißt aber auch, immer bereit und ansprechbar zu sein. Es ist Fluch und Segen gleichermaßen. Es eröffnet einem die komplette Welt, aber die komplette Welt erwartet auch, dass du immer zugänglich bist. In die Zukunft geguckt, bedeutet die Digitalisierung auch ein neues Leben. Bei vielen Dingen wird die Manpower von digitalen Kräften abgelöst werden oder ergänzt. Ich sage nicht, dass durch die Digitalisierung unsere ganzen Arbeitsplätze verloren gehen wegen der ganzen, bösen Roboter, aber es passiert ein Umbruch und man muss sich mit dieser neuen Welt arrangieren. Die zweite Welt ist digital und das wird uns in Zukunft auch weiter beschäftigen und vereinnahmen.

Findest Du in den Medien hilfreiche Informationen über die Digitalisierung?

In Fachmedien wie der t3n schon. Ich habe zum Beispiel meine Homepage mit WordPress selber gemacht. Die t3n schreibt ständig was darüber, da kann ich immer etwas Interessantes verwenden. Oder auch zur DSGVO. Ich abonniere bei Facebook auch Medien aus der digitalen Branche und sehe mir das an. Wenn man gezielt danach sucht, wird man schon auch gut informiert.

Madeline Jost, Fotografin und freie Autorin im Wendland / Bild: Nicole Dau

Verantwortungsvoller Medienkonsum ist heute wichtiger denn je

 

Madeline Jost

Ich will mich auf jeden Fall nicht einlullen lassen, nur damit die Medien Daten sammeln können. Irgendwelche SEO-Texte mit Schlagwörtern und letzten Endes nur heißer Luft, bringen mir nichts. Ich fand schon öfter Titel spannend in der Richtung „8 Tipps, um besser zu…“. Dann klicke ich drauf und bin am Ende kein bisschen schlauer als vorher. Mir fehlt oft die Wahrhaftigkeit. Diese Schlagwort-Catcher-Titel suggerieren, du findest Antworten auf alle deine Fragen hinter dieser Überschrift – das ist meistens einfach nicht wahr. Das ist ein Problem der Digitalisierung und Onlinenachrichten. Diese boulevardeske Haltung, die sie nach außen tragen, um Leute einzufangen. Ich mag es nicht, Leute in die Irre zu führen. Klar, die verdienen Geld damit, wenn sie viele auf ihre Seite ziehen. Aber oft steckt eben einfach nichts dahinter.

Wie ist der Handyempfang im Wendland?

Das passt gerade super, ich bin nämlich vor kurzem auf einen neuen Anbieter umgestiegen. Hier im Wendland gibt es nur zwei Anbieter, die vom Empfang her ernst zu nehmen sind. Erstens die Telekom, zweitens Vodafone. Deshalb bin ich jetzt bei Vodafone und habe hier immer fast volle Balken und 4G. Und wir sind hier wirklich in der Einöde. In meinem Dorf leben 18 Leute!

Ist das Wendland digital?

Vermutlich nicht. Einen Punkt aber noch vorweg: Deutschland, und auch die Städte hier, sind nicht online. Ich war ein halbes Jahr auf Island und das war online. Deutschland ist, was Internet und Empfang angeht, richtig beschissen im Vergleich zu anderen Ländern wie Island. Da wohnen 320.000 Menschen, was wirklich nicht viel ist. Wenn du dort im Hochland bist, kann 100 Kilometer um dich herum Niemand sein und du hast trotzdem 4G, LTE – soviel erstmal dazu. Hier im Wendland wohnen eher ältere Menschen. Die wollen oder brauchen das Digitale nicht so.

Aber es gibt eine gute Entwicklung, da immer mehr Zuzügler aus den Städten herkommen und Innovationen mitbringen. Beispielsweise Marcel Luft. Der fährt hier im Auto rum und verteilt über Funkstrecken quasi das Internet. Es soll ja jetzt auch Breitband kommen. Wir können inzwischen online einsehen, dass wir selbst in unserem Pupsdorf hier Glasfaser bekommen werden. Ich glaube, das wird nicht mehr lange dauern und das wird hier florieren. Bisher sind digitale Services durch die fehlende Struktur hier noch nicht so weit entwickelt. Es gibt hier nur einen Lieferservice für Essen, bei dem man online bestellen kann.

Wer digital ist, braucht auch mal Feierabend

 

Madeline Jost

Findest Du das Gleichgewicht zwischen digital und offline hier gut?

Ich finde es sogar notwendig. Die Digitalisierung ist ja auch eine unglaubliche Herausforderung. Immer da sein, immer erreichbar sein. Jeder kann kontrollieren, ob die WhatsApp-Nachricht angekommen ist. Das ist ein unglaublicher Aufwand für das Gehirn, immer sofort zu reagieren. Die Erlaubnis hier auch mal offline zu sein, ist schön. Viele ziehen genau deshalb hier her, weil ihnen die Hektik und der Stress des immer Onlineseins zu viel wird. Hier hat man auch einfach mal Feierabend.

In Hamburg hatte ich nie Feierabend. Meine Chefin hat manchmal um 20 Uhr oder noch später angerufen. Hier ist das nicht so. Vielleicht auch, weil viele Arbeitgeber wissen, dass es eh sinnlos ist. Das Handy ist sowieso aus oder es hat keinen Empfang. Es ist hier einfach normal. Um 16 oder 18 Uhr lassen alle den Stift fallen, fahren nach Hause und kümmern sich um Familie, Hof und Garten.

Was fehlt dem Wendland noch?

Eine Sache, die mir auf Island sehr gut gefallen hat, sind Fraueninitiativen. Es gibt da zum Beispiel einen Tag im Jahr, an dem sich die Frauen zu einem Thema verkleiden, auf ihre Islandpferde steigen und durch die Gegend reiten. Die Männer stehen dann an einigen Punkten und verwöhnen die Frauen mit Getränken und Essen. Eigentlich die klassische Bollerwagentour auf Island und für Frauen. Es geht nicht darum die Männer fertigzumachen, aber in Deutschland kommen Frauen nach wie vor noch zu kurz. Und auf dem Land ist das nochmal extremer, weil hier alles traditioneller ist. Das Wendland hat aber diese innere politische und gesellschaftskritische Kraft, dass es hier noch mehr schöne Fraueninitiativen geben könnte.

Und im digitalen Bereich?

Das ist gar nicht so einfach, weil viele Sachen eben auch analog sehr gut funktionieren. Oder so halb analog. Food Sharing zum Beispiel. Die Leute tun sich hier in WhatsApp-Gruppen zusammen und schreiben „Ich hab noch Nudelsalat von gestern Abend übrig, wer will noch was?“. Genauso läuft es auch beim Carsharing. Vielleicht noch eine Art Mutter-Website für das Wendland, auf der alle Informationen für Bewohner und Interessierte des Landkreises stehen.

Vielen Dank, Madeline!

Titelbild:Tengyart on Unsplash

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