Verkehrswende: Grüne Oasen statt Betonwüsten
Olympia in Paris ist vorbei. Die Spiele waren ein gigantisches Spektakel unter der vollmundigen Ankündigung der „nachhaltigsten olympischen Spiele aller Zeiten“. Schon Katar war zur letzten Fußball-WM mit dem gleichen Werbeversprechen angetreten – doch Paris nimmt man es ab. Bürgermeisterin Anne Hidalgo hat es schon lange zu ihrer Mission gemacht, die Stadt durch Verkehrsberuhigung und eine klimafreundliche Umgestaltung lebenswerter zu machen. Entlang der Seine sind die Wege schon lange für Autofahrende gesperrt und haben sich in echte Flaniermeilen verwandelt. Nun soll auch die Innenstadt nachziehen und zunehmend attraktiver und nachhaltiger werden.
Los Angeles hat für 2028 gleich ganz autofreie olympische Spiele angekündigt und einen nachhaltigen Umbau des Verkehrs. In diesem Blogpost beleuchten wir, wie sich das Auto zum zentralen Fortbewegungsmittel entwickelt hat und wie Städte heute genau darunter leiden. Wir gehen anhand von internationalen Beispielen der Frage nach, wie eine gut funktionierende multimodale Mobilität, autofreie Quartiere und menschenzentrierte Stadtplanung zur Klima-Anpassung aussehen können. Wie gelingt die Verkehrswende?
Mehr Tempo für die Verkehrswende
Die deutsche Infrastruktur wurde während der EM zur Lachnummer von ganz Europa. Die FDP, Regierungspartei und Inhaberin des Verkehrsministeriums, macht unverhohlen Politik für das Auto – statt für die Menschen. Derweil stoppt unsere Hauptstadt Radwegprojekte anstatt sie voranzutreiben. Immerhin hat die Bundesregierung im Juni 24 eine Reform des Straßenverkehrsgesetzes angestoßen, um den Verkehr vor Ort umweltfreundlicher zu gestalten. Das ist wichtig, denn: Mit den bisherigen Maßnahmen ist der Umschwung laut einer Studie der Agora Verkehrswende nicht zu schaffen. Und wenn die Regierung noch länger mit der Umsetzung wartet, wird es teuer: Die Kosten für Mensch und Umwelt werden bei einem „weiter so“ hoch sein.
Der Fokus auf Autos, insbesondere Verbrenner, schadet der Nachhaltigkeit und ist die vielleicht größte Hürde beim Umdenken hin zu einer menschenzentrierten Stadt- und Verkehrsplanung. Das zeigt sich auch in Hannover: Oberbürgermeister Belit Onay (Die Grünen) kündigte 2023 Pläne für eine autofreie Innenstadt bis 2030 an. CDU, FDP und SPD blockieren diese nun und plädieren für eine Schmalspurversion. Man dürfe das Auto nicht aus der Stadt verbannen, so der Tenor.
Sackgasse Stadtplanung - die autofreundliche Innenstadt
Die Entwicklung des Autoverkehrs in den vergangenen rund 100 Jahren demonstriert unter anderem, wie Kommunikation und Werbung die Gesellschaft langfristig formen können. Ein kleiner geschichtlicher Exkurs: 1936 war das Auto noch nicht das Transportmittel Nummer Eins, als Industriedesigner Norman Bel Geddes unter dem Titel „The City of Tomorrow“ eine Werbung für Shell entwarf. Für die General Motors-Ausstellung „Futurama“ 1939 baute er eine 3D-Landschaft voller Hochhäuser und vielspuriger Autoschnellwege. Diese Art der Stadtplanung kommt uns aus zahlreichen Großstädten weltweit erstaunlich bekannt vor. Denn tatsächlich war das ein Startschuss, um den Städtebau rigoros dem Auto unterzuordnen.
Erst das Wirtschaftswunder der 1950er Jahre brachte den Auto-Boom mit voller Wucht nach Deutschland. Zum Ende dieses Jahrzehnts waren die Städte offenbar mit dem Verkehr überfordert. Also entwickelte 1959 Architekt Hans Bernhard Reichow in einem Buch „Die autogerechte Stadt – ein Weg aus dem Verkehrs-Chaos“. Seine Lösung ähnelt den Gedanken von Bel Geddes: viele Schnellstraßen für Autos, andere Verkehrsmittel an den Rand oder unter die Erde drängen. Das primäre Ziel: schneller von A nach B zu kommen und dabei die Menge der Verkehrstoten zu senken. Klingt erstmal plausibel – hat leider diverse Haken, mit denen wir heute noch zu kämpfen haben.
Warum wir eine Verkehrswende dringend brauchen
Die Anzahl der Verkehrstoten ist heute noch immer hoch – insbesondere bei den „schwächeren“ Verkehrsteilnehmer:innen wie Radfahrenden und Fußgänger:innen. Stand Ende Juli 2024 haben Berliner PKW- und LKW-Fahrende in diesem Jahr bereits zwei Fahrradfahrer:innen, zwölf Fußgänger:innen und einen Rollstuhlfahrer getötet. In Helsinki ist dagegen 2019 erstmals kein:e Fußgänger:in und Radfahrer:in im Verkehr gestorben. In ganz Deutschland waren es im Jahr 2023 laut Destatis über 2.800 Verkehrstote. Seit über 10 Jahren stagniert der Wert auf ungefähr diesem Niveau. Was den Verkehr sicherer machen könnte? Tempolimits. Dass sich die deutsche Regierung unsinnigerweise nach wie vor dagegen sträubt, haben wir hier schon einmal diskutiert.
Fortschritt ist auch in Sachen Nachhaltigkeit nur langsam zu sehen. Dabei sollten allein die immer stärker sichtbaren Folgen des Klimawandels ein ausreichendes Warnzeichen sein, um hier dringend eine Wende hin zu multimodalem Verkehr einzuleiten. Sprich: Bund, Land, Kommunen und Verkehrsunternehmen müssen zusammenarbeiten, um einen nachhaltigeren, weniger umweltbelastenden Verkehr mit Verkehrsmitteln abseits des Autos zu ermöglichen, der gleichzeitig menschenfreundlich ist. Ein bekanntes Beispiel aus Krakau demonstriert, wie Begrünung statt Asphalt Städte gegen Überhitzung schützt.
Ideen und Vorbilder gibt es an vielen Stellen, doch bislang hierzulande kein stringentes Vorgehen. Im Gegenteil: In Hessen soll die erste zehnspurige Autobahn gebaut werden.
Jede:r sollte das Recht haben, ein Leben ohne eigenes Auto führen zu können.
Katja Diehl, aus "Autokorrektur – Mobilität für eine lebenswerte Welt"
Wie die Verkehrswende gelingen kann
- Vorfahrt fürs Fahrrad: Auf das Fahrrad umzusteigen ist beispielsweise in vielen großen Städten eine sinnvolle Art, sich fortzubewegen. Das spart Geld und ist umweltschonender. Gleichwohl: Die Strecken müssen als Alternative einfach, schnell und sicher sein – und dafür ist die passende Infrastruktur nötig. Ausgewiesene Fahrradspuren oder sogar -straßen, Radschnellwege, mit physischer Trennung von Autospuren. Die Gleichung lautet: Wer Straßen baut, erntet mehr Autofahrende – aber nicht weniger Verkehr. Wer sichere Fahrrad- und Gehwege baut, erntet mehr Radfahrende und Fußgänger:innen. Das zeigte sich auch in Berlin in einer Studie des Forschungsinstituts für Nachhaltigkeit Potsdam. Und dass Radwege schlecht fürs Geschäft seien, ist ein Märchen.
- Nachhaltige Subventionen: Die gigantischen Subventionen der Autoindustrie könnten stattdessen in alternative Fortbewegung investiert werden – mit dem Ausbau von ÖPNV und Radwegen sowie dem menschenfreundlichen Umbau von städtischen Flächen. Angesichts des eingeschränkten Platzes insbesondere in Innenstädten sollten Städte ein Interesse daran haben, diesen möglichst effizient zu nutzen. Dass Individualverkehr in Autos in diesem Hinblick eher suboptimal ist, liegt nahe. Um das zu veranschaulichen, hat einst die Stadt Münster für eine Kampagne das vielleicht bekannteste Bild der Stadt angefertigt. Und all die abgebildeten Fahrzeuge müssen irgendwo stehen – denn genau das tun sie den größten Teil des Tages. Schon Ride-Sharing könnte hier zu effizienterer Nutzung von Verkehrsfläche beitragen und den aktuell für Parkplätze notwendigen Raum reduzieren. Stattdessen könnte man hier etwa Grünflächen oder Parks anlegen.
- Grünes Licht für grüne Städte: Weltweit und auch innerhalb von Deutschland gibt es Bestreben, Städte wieder grüner zu gestalten und wegzugehen vom autozentrierten Verkehr. Die Hürden und Widerstände dafür sind in jeder Kommune und in jeder Stadt hoch – zumal es bislang keinen bundes- oder wenigstens landesweiten Plan gibt. Jedes Projekt ist hier noch Einzelkämpfer. In der Summe betrachtet ergibt sich allerdings anderes Bild: Wenn der politische Wille vorhanden ist, kann es ganz schnell gehen. So zum Beispiel in Paris. Oder in Montreal. Und vor unseren Haustüren? Frankfurt hat die gesamte Zeil zur mit Bäumen versehenen Fußgängerzone gemacht. Hamburg hat eine dreispurige Einbahnstraße zu einem begrünten Weg für alle Verkehrsteilnehmenden gemacht. Düsseldorf hat eine ehemalige Hauptverkehrsachse am Rheinufer unterirdisch geführt und dort nun eine der attraktivsten und beliebtesten Orte der ganzen Stadt geschaffen. Bamberg ist gar vorangegangen mit einem Klimaanpassungskonzept. Und trotz all dieser Erfolge, muss man jeden Fortschritt wieder neu erkämpfen.
Für einen weiteren Blick haben wir noch eine kleine Auswahl internationaler Beispiele zusammengestellt:
Und jetzt?
Ganz grundsätzlich gilt: Wir brauchen den politischen Willen, in Städten und Kommunen einen Wandel anzustoßen. Damit diejenigen, die vom Auto umsteigen wollen – vielleicht aber noch darauf angewiesen sind – echte Alternativen erhalten. Denn nur, wenn sich der Fokus vom Fahrzeug weg und dafür auf die Menschen richtet, kann sich eine neue Mobilität etablieren. Dann können sich auch die Städte wieder transformieren in menschenfreundliche Orte. Und das wiederum verbessert die Lebensqualität von allen – insbesondere den „schwächeren“ Verkehrsteilnehmer:innen.
- Titelbild: Grünflächen mit Bäumen – verschaffen Städten Kühlung und frischere Luft – Quelle: Dall:E
- Bild Rheinpromenade Düsseldorf: Joschi71, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons