Im Gespräch mit Richard Gutjahr: „Journalisten brauchen Startup-Mentalität“

Geld verdienen mit Online Journalismus? Geht das überhaupt? Und sollte das eigentlich das Ziel sein? Oseon-Gründer Tapio Liller sprach mit Blogger Richard Gutjahr auf dem Netzwerktreffen des Frankfurter Presseclubs Anfang Juli über Medienwandel, Trends und Krisen. Jule führte bei dem Gespräch Protokoll.

Journalist, TV-Moderator und Blogger Richard Gutjahr stellte sich den Fragen von Oseon-Gründer Tapio Liller beim Frankfurter Presseclub / Bild: Ralph Menz

„Richard, es sieht für den Journalismus ja nicht besonders rosig aus. Das Internet, der Medienwandel, die vermeintliche Kostenlos-Kultur – das alles kostet regelmäßig Jobs in den Redaktionen. Haben wir die Wucht der Digitalisierung unterschätzt?“, will Tapio von Richard Gutjahr wissen. Der Journalist, TV-Moderator und Blogger steht auf der Netzwerkveranstaltung des Frankfurter Presseclubs Rede und Antwort.

Gutjahr beschreibt im Interview mit Tapio seine Sicht auf den Medienwandel, den Einfluss von Technologie auf den Journalismus und die ewige Frage, wie sich denn mit Journalismus im Netz Geld verdienen lasse.

Es gibt großen Handlungsbedarf, um den Journalismus fit für die Zukunft zu machen

„Leicht war es nie, aber wir haben hier als Journalisten ein Dach über dem Kopf und das muss man positiv sehen“, sagt Richard Gutjahr nur halb im Scherz. „Aber sicherlich, wir haben die Entwicklung zu blauäugig betrachtet. Wir haben gedacht, es ist eine Krise, dabei bringt die Digitalisierung doch eine ganz neue Lebensweise mit sich.“ Der Mann, der 2011 spontan und ohne Auftrag vom Arabischen Frühling aus Kairo berichtete, sieht großen Handlungsbedarf, den Journalismus zukunftsfit zu machen. Als Journalist habe man in seinen Augen nicht nur die Pflicht, das Erlebte zu berichten und guten Journalismus zu machen, sondern die eigene Arbeit auch sichtbar zu machen und sich Gehör zu verschaffen, meint Gutjahr. „Wenn man irgendwo vor Ort ist und etwas Tolles erlebt, dann schreibt man das nicht in sein Tagebuch und versteckt es, sondern man schreibt es in sein Blog.“ Die Unmittelbarkeit, gerade auch des in Kairo erlebten, gebe ihm „das Gefühl, dass dieses Berichten in Echtzeit ein viel journalistischeres Arbeiten ist als vieles, was ich im Büro tue“, so Gutjahr.

Gute Arbeit macht sich bezahlt

Angesprochen auf mögliche neue Erlösquellen für Verlage und Journalisten wird Gutjahr deutlich: „Wer als erste Amtshandlung die Frage stellt ‚Und wer zahlt mir das?’, geht die Sache falsch an. Das Geld kommt automatisch, wenn du deinen Job beherrschst und gute Ergebnisse ablieferst.“ Wer in Zukunft seine Geschichten gut verkaufen wolle, müsse bereit sein, in Vorleistung zu gehen. Und wenn es ein eigenes Blog sei, das als Publikationsplattform diene. „Man muss erstmal zeigen was man kann und dann die Töpfe aufstellen. Irgendwann regnet es dann rein“, meint Gutjahr, der in seinem Blog auch mit einem Micropayment-System experimentiert.

Besonders kritisch sieht Richard Gutjar die Verteufelung von Technik und Daten durch seine Berufskollegen. Die Möglichkeiten, die neue Technik biete, müssten viel mehr genutzt werden. An Stellen, an denen es früher einen Übertragungswagen gebraucht hätte, könne man heute auch mit einem Smartphone arbeiten. „Innovation entsteht meistens da, wo dann eh schon alles egal ist“, sagt Gutjahr „Wer nichts mehr zu verlieren hat, wird umso mutiger und kreativer.“ Erst dann zu reagieren, wenn einem das Wasser schon bis zum Hals steht, verurteilt er. Und er fordert von Journalisten ein Stück Startup-Mentalität, die Bereitschaft klein anzufangen, zu experimentieren und sich durchzubeißen. Nicht zuletzt beim Aufbau einer eigenen, persönlichen Leserschaft.

Selbstvermarktung ist überlebenswichtig

Beim Thema Selbstvermarktung wird Gutjahr leidenschaftlich und plädiert an die anwesenden Kollegen, sich damit auseinanderzusetzen. „In einer digitalisierten Welt sind wir selbst, unsere Persönlichkeit, doch das wichtigste was wir haben. Wenn Journalismus neben Candy Crush und WhatsApp um Aufmerksamkeit buhlen muss, ist Selbstmarketing für den Journalisten überlebenswichtig“, sagt Richard Gutjahr. „In einer Zeit, in der nicht mehr das Medium im Vordergrund steht, wird der Name zum Qualitätssiegel der eigenen Arbeit. Sich zu verstecken ist keine Option.“

Für Gutjahr ist ganz klar, dass das Modell „Verlag als Zwischenhändler“ ausgedient hat und Medien mittelfristig von Globalplayern wie Apple, Facebook und Amazon gemacht werden. Die Dynamik des Social Web hat dafür gesorgt, dass sich Inhalte rasend schnell verbreiten und sich die über das Netz erzielbare Reichweite enorm erhöht hat. Aufmerksamkeit ist für Gutjahr im Journalismus die einzige Währung der Zukunft. Auf lange Sicht sei aber nicht mehr der Content entscheidend für die Gewinnung von Lesern, sondern die Plattform, die diese Inhalte verwaltet.

Das komplette Gespräch aus dem Kunstverein Familie Montez gibt es hier zu sehen (live gestreamt und aufgezeichnet von Sebastian Greiner, livestream.watch)

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