Der Weg aus der Klimakrise – Darum macht die Kreislaufwirtschaft alles besser

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„Nie stand mehr auf dem Spiel als jetzt“ – so leitete Hoesung Lee, Vorsitzender des Weltklimarats IPCC, die zweiwöchigen Beratungen über den aktuellen Sachstandbericht desselben ein. In diesem Bericht hat die Arbeitsgruppe II des IPCC neueste Erkenntnisse über die Folgen der Erderwärmung für Mensch und Natur, mögliche Anpassungen an den Klimawandel und Risikoanalysen zusammengetragen. Die Analysen zeigen deutlich: Es wird eng. Ziemlich eng. Umweltschäden und Anzeichen des Klimawandels treten immer deutlicher zutage, zahlreiche Ökosysteme sind bedroht und trotzdem wird vielerorts noch konsumiert und produziert als hätten wir die sprichwörtliche „zweite Welt“ tatsächlich noch irgendwo im Keller.

Ohne Ressourcenschonung wird es nicht gehen

Um dem Klimawandel Einhalt zu gebieten und die Umwelt zu entlasten, oder zumindest mit einem blauen Auge davonzukommen, müssen schleunigst Maßnahmen zur Einsparung von CO2 und anderen Ressourcen ergriffen werden. Dass die Digitalisierung uns auf diesem Weg ein ganzes Stück voranbringen kann, haben wir bereits gezeigt. Ein weiterer Schritt in die richtige Richtung wäre ein struktureller Wandel zur Kreislaufwirtschaft. Die Idee ist nicht neu: sie wurde 1990 vom britischen Wirtschaftswissenschaftler David W. Pearce eingeführt. Doch um seine Vision endlich umzusetzen und wirklich etwas zu bewegen, müssen alle gemeinsam ran – egal ob Politiker, Privatperson oder Großunternehmer.

Kreislaufwirtschaft – was ist das?

Ein vielversprechender Weg, die Zukunft nachhaltiger zu gestalten, ist eine Umrüstung zur Kreislaufwirtschaft. Dadurch würde nicht nur der aktuellen Klimakrise entgegengewirkt werden, sondern auch anderen Umweltproblemen wie ein viel zu hoher Wasserverbrauch und die Entstehung von zu viel Abfall. In ihrem neuen White Paper „Delivering on Circularity“ ruft der Logistikkonzern DHL daher zu mehr Kreislaufwirtschaft auf – doch was ist das eigentlich genau?

In der Kreislaufwirtschaft geht es um fünf grundlegende Dinge: Reduce, Repair, Resell, Refurbish und Recycle.

DHL Whitepaper "Delivering on Circularity"

Die Kreislaufwirtschaft ist ein regeneratives System, bei dem der Lebenszyklus bestehender Materialien und Produkte so lange wie möglich verlängert wird. Der entstehende Abfall wird dabei auf ein Minimum reduziert, da Ressourcen und Materialien so lange wie möglich in der Wirtschaft gehalten werden. Laut DHL geht es in der Kreislaufwirtschaft um fünf grundlegende Dinge: Reduce, Repair, Resell, Refurbish und Recycle. Es muss also reduziert, repariert, weiterverkauft, aufbereitet und wiederverwendet werden. Produktion und Lieferketten müssen dementsprechend angepasst oder komplett neugestaltet werden, um eine echte Kreislaufwirtschaft zu schaffen. Das mag ein ambitioniertes Ziel sein, das definitiv nicht von heute auf Morgen zu erreichen ist, doch mit Blick auf das mögliche Ergebnis würden die Mühen belohnt werden.

Nachhaltige Benefits für Klima und Umwelt

Mit stetig wachsender Weltbevölkerung wächst auch der Bedarf an Rohstoffen und Ressourcen – doch diese sind nur zu oft nicht endlos vorhanden und werden langsam knapp. Die Gewinnung und Verarbeitung von Rohstoffen haben erhebliche Auswirkungen auf Klima und Umwelt: Sie sorgen für höheren Energieverbrauch und einen erhöhten CO2-Ausstoß. Die Produktion von Materialien für den täglichen Bedarf ist für einen Großteil der CO2-Emissionen verantwortlich. Dem könnte durch die intelligente Nutzung von Rohstoffen, Abfallvermeidung, Wiederverwendung und ökologisches Design erfolgreich entgegengewirkt werden. 

Durch neue Produktionsabläufe und Wertschöpfungsketten werden Innovation und Wachstum gefördert, Produktions- und Materialkosten reduziert, neue Arbeitsplätze geschaffen, die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen wird gesteigert sowie ihre Kundenbindung gestärkt.

Rike Pröschild, Oseon

Das ist allerdings nicht der einzige Vorteil, den die Kreislaufwirtschaft zu bieten hat. Sie verringert zudem den Druck auf die Umwelt und erhöht die Versorgungssicherheit, da Rohstoffe gezielter abgebaut und eingesetzt werden. Durch neue Produktionsabläufe und Wertschöpfungsketten werden Innovation und Wachstum gefördert, Produktions- und Materialkosten reduziert, neue Arbeitsplätze geschaffen, die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen gesteigert sowie die Bindung zu ihren Kund:innen gestärkt. Diese profitieren von langlebigeren und innovativeren Produkten, sparen Kosten und erhöhen auf lange Sicht ihre Lebensqualität.

Dringender Handlungsbedarf in vielen Bereichen

Laut DHL ist der Konsumgüterbereich einschließlich der Lebensmittelindustrie für etwa 25 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Nur der Mobilitätssektor kann diese Zahl noch toppen. Die Mode- und Unterhaltungselektronikbranche verbrauchen auch große Mengen oft nicht erneuerbarer Ressourcen (wie seltene Erden und Metalle) und erzeugen gemeinsam über sechs Prozent der globalen Treibhausgasemissionen. Trotzdem werden etwa 20 Prozent der hergestellten Kleidung niemals getragen und Smartphones oft bereits nach zwei oder drei Jahren ausgetauscht. Außerdem verbrauchen diese Branchen extrem viel Fläche (mehr als die Grundfläche von Deutschland und der Schweiz zusammen) und Wasser (vergleichbar mit 40 Prozent des jährlichen Wasserverbrauchs der USA). Auch die erzeugte Abfallmenge – vergleichbar mit etwa 50 Prozent des jährlich in Europa erzeugten Abfalls – ist beachtlich.

Beide Branchen haben die Möglichkeit sich zu verändern und große Auswirkungen zu erzielen. Ihre hohe Sichtbarkeit und die globale Reichweite könnte sie zu wichtigen Teilnehmern der Kreislaufwirtschaft machen. Da etwa 80 Prozent der Emissionen während der Produktion entstehen, ist es unerlässlich, die Lebensdauer der Produkte so weit wie möglich zu verlängern, und Produktion und Lieferketten in neue Bahnen zu lenken. Damit würden Unternehmen auch den Wünschen ihrer Kund:innen entsprechen. Eine aktuelle deutschlandweite Studie der IDC, bei der branchenübergreifend 200 Unternehmen befragt wurden, hat ergeben, dass besonders Kundennachfragen nach umweltfreundlichen Produkten und Angeboten dafür sorgen, dass mehr als ein Drittel der befragten Unternehmen nach eigenen Angaben bereits über einen unternehmensweiten Nachhaltigkeitsansatz verfügen, weitere 40 Prozent zumindest über einzelne Programme. Bei 44 Prozent der befragten Unternehmen gehört eine „konsequente Ausrichtung auf die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft“ zu den großen Nachhaltigkeitszielen, die bis 2030 erreicht werden sollen.

Doch nicht nur im Verbraucherbereich kann durch die Kreislaufwirtschaft Großes bewirkt werden. Auch B2B-Unternehmen profitieren davon, wie das Beispiel von Aniel, einem führenden französischen B2B-Händler für Karosserieteile, zeigt. „Aniel nutzt seinen Online-Marktplatz nicht nur für ein breites Angebot an Neuprodukten, sondern stellt nun auch wiederaufbereitete Karosserieteile über den Marktplatz zur Verfügung“, erklärt Marc Teulières, Executive Vice President Customer Success, von Mirakl, Anbieter der SaaS-Marktplatzsoftware, auf der Aniels Online-Marktplatz basiert. „Durch die Zentralisierung des Produktangebotes erleichtert Aniel seiner Kundschaft den Zugang zu wiederaufbereiteten Produkten, für die sie sonst bisher mühsam und zeitaufwendig nach spezialisierten Drittanbietern suchen mussten.“

Autobranche kann ein Vorreiter der Kreislaufwirtschaft werden

In der Automobilbranche schafft die Verwendung von wiederaufbereiteten Teilen beispielsweise für Versicherungen, Karosseriebauer und Automobilhersteller einen enormen ökologischen und ökonomischen Vorteil. Die gemeinsame Nutzung von neuen und wiederaufbereiteten Autoteilen kann unter anderem den Wasser- und Energieverbrauch um bis zu 80 Prozent reduzieren.

Der Kern der Kreislaufwirtschaft wird am Ende eine Art Artikelpass zu jedem physikalischen und digitalen Produkt sein, mit allen relevanten Stammdaten. Welche das sind, gilt es noch zu definieren. 

Steffen Roos, Detecon

Auch Steffen Roos, Managing Partner bei der Digitalberatung Detecon, sieht die Automobilbranche als Vorreiter bei dem Thema. „CatenaX und andere Initiativen im Automotive-Kontext zielen bereits auf mehr Transparenz ab und sollen helfen, Nachhaltigkeitsvorgaben einzuhalten. Um ein kollaboratives Kreislaufwirtschaftssystem zu erschaffen, müssen wir zuerst die Datenlage besser verstehen. Welche Daten gibt es? Welche Daten benötigt man noch? Und an welche Daten müsste man rankommen, um sachlich und fachlich Bewertungen machen zu können über den tatsächlichen Impact auf die diversen UN-Nachhaltigkeitsziele? Es gibt schon Positivbeispiele, wo all das auch mit wenigen Daten grundsätzlich funktioniert – wie etwa die Europalette. Aber auch Negativbeispiele, wie etwa den „grünen Punkt“, der eine ziemliche Katastrophe darstellt. Die meisten so gekennzeichneten Rohstoffe landen in der Müllverbrennung. Konzepte rund um groß angelegte Datenpools, in denen Artikelstammdaten gepflegt und ausgetauscht werden, ließen sich womöglich ausbauen. So könnten zum Beispiel die Bewegungs- und Standortdaten von zu recycelnden oder zu reparierenden Gütern erweitert werden. Am Ende ist der Kern sicher eine Art Artikelpass zu jedem physikalischen und digitalen Produkt, mit allen relevanten Stammdaten. Welche das sind, gilt es noch zu definieren.“

DHL treibt den Wandel voran

Das Whitepaper der DHL enthält nicht nur den Aufruf, gemeinsam in die Kreislaufwirtschaft zu starten, sondern bietet auch Lösungsansätze. Im Verlauf der Wertschöpfungskette eines Produkts hat DHL drei wichtige Treiber und zehn Elemente ausgemacht, die einen erfolgreichen Übergang von Lieferketten auf Lieferkreisläufe ermöglichen. Neben der eindeutig steigenden Verbrauchernachfrage und dem Wandel zu einem kreislauforientierten Konsumverhalten müssen natürlich auch Lieferketten umgestaltet und neue Liefermodelle entwickelt werden. Herausforderungen dabei sind die Erfassung und Rückführung von Altprodukten und ungenutzten Gütern in den Kreislauf, und wie dieser Kreislauf so effizient und umweltfreundlich wie möglich gestaltet werden kann.

„Viele Lieferketten- und Logistikanbieter arbeiten bereits an nachhaltigeren Prozessen und Produkten für einen umweltfreundlicheren Betrieb mit Elektrofahrzeugen, CO2-neutralen Gebäuden und nachhaltigen Kraftstoffen“, kommentiert Florian Schwarz, Head of Sustainability bei DHL Customer Solutions & Innovation. „Zusätzlich engagieren sie sich in Umweltprogrammen. Deutsche Post DHL Group zum Beispiel hat sich mit ihrer ‚Mission 2050‘ dazu verpflichtet, alle Emissionen bis 2050 netto auf null zu reduzieren. Die Lieferketten der Zukunft werden also dekarbonisiert sein.“

Komplexe, zirkuläre Lieferketten machen Möglichkeiten zur Steuerung und die Gewährleistung von Transparenz noch wichtiger, erschweren diese jedoch auch. So muss beispielsweise der Einkauf von neuem Material an die Verfügbarkeit von recycelten Materialien angepasst werden, und die Produkte, die sich bereits im Kreislauf befinden, müssen bei der Bestandsverwaltung berücksichtigt werden.

„Markenanbieter und Hersteller müssen ermitteln, welche Anpassungen – vom Design über die Materialverwendung bis hin zur Produktion – erforderlich sind, um Produkte kreislauffähig zu machen“, sagt Schwarz. Außerdem müssen sie die neuen „zirkulären“ Geschäftsmodelle erproben, die in kommerzieller Hinsicht am attraktivsten sind. Dazu gehört auch die Entwicklung von Systemen, die eine aktive Einbindung der Kund:innen fördern, zum Beispiel durch Anreize für die Einsendung von Produkten für das Recycling. Für eine ganzheitliche Umsetzung der Kreislaufwirtschaft müssen große Kaufhäuser und Online-Marktplätze ihre gesamte Organisation und nicht nur ihre Produktion zirkulär ausrichten.“

Der gemeinsame Weg zur Kreislaufwirtschaft

Die DHL fordert alle Beteiligten auf, Verantwortung zu übernehmen und einen sich gegenseitig verstärkenden Kreislauf in Gang zu setzen:

„Zunächst einmal müssen die vier wichtigsten Akteure aktiv werden: Markenanbieter, Verbraucher, Regierungen und Logistikanbieter. Markenanbieter und Hersteller werden zirkuläre Angebote schaffen, woraufhin die Verbraucher nachhaltiger konsumieren und in der Folge noch mehr kreislauffähige Angebote von den Markenanbietern verlangen werden. Die Logistikanbieter werden die Prozesse umsetzen und die Regierungen werden Anreize schaffen, die das Zusammenspiel zwischen dem Verhalten der Konsumenten und den Aktivitäten der Hersteller in die richtige Richtung lenken“, so Schwarz.

Auf Seiten der Verbraucher:innen und Unternehmen besteht definitiv noch Nachholbedarf. Das Interesse an nachhaltigen Produkten steigt, doch Verbraucher:innen müssen noch stärker über die Funktionsweise der Kreislaufwirtschaft aufgeklärt werden, um zu begreifen, welche Vorteile sie auch persönlich daraus ziehen können. Der Fokus von vielen Unternehmen konzentriert sich noch immer nur auf einen Moment: den des Verkaufens. Design, Produktentwicklung, Produktion und Marketing sind einzig darauf ausgelegt, möglichst viele neuwertige Produkte zu verkaufen. Dafür gibt es, beispielsweise bei Mobilgeräteherstellern, einen gut inszenierten Onboarding-Prozess, in den viel Geld geflossen ist. Doch niemand bereitet Verbraucher:innen auf das Ende ihrer Customer Journey vor, auf den Moment, wenn das Smartphone in ihren Augen ausgedient hat. Dieses Ende der Customer Journey muss gleichzeitig ein neuer Anfang sein. Dafür müssen Unternehmen ihren Kund:innen zeigen, wie sie mit einfach Schritten ein aktiver Teil des Kreislaufs werden können und entsprechende Angebote machen.

Sowohl Start-ups als auch etablierte Unternehmen müssen mitziehen, ihre Konzepte überdenken und Veränderungen vorantreiben. Nur wenn alle an einem Strang ziehen, kann die Kreislaufwirtschaft zur Realität werden.

Rike Pröschild, Oseon

Bisher sind die Möglichkeiten, ein generalüberholtes, gebrauchtes Handy zu kaufen oder ein altes Gerät zum Weiterverkauf oder Recycling einzuschicken, recht begrenzt. Unternehmen, die dergleichen möglichen machen, sind meistens junge Start-ups, bei denen der Nachhaltigkeitsgedanke von Beginn an in der Firmen-DNA verankert ist. Doch auch etablierte Unternehmen müssen mitziehen, ihre Konzepte überdenken und Veränderungen vorantreiben. Nur wenn alle an einem Strang ziehen, kann die Kreislaufwirtschaft zur Realität werden.

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